• Die Vier Aspekte

Zusammenfassung

- Die Partnerverbindung ist das Herzstück des Tangos. Sie ist wahrscheinlich die größte Quelle des Vergnügens in diesem Tanz. Eine gute Partnerverbindung öffnet den Weg zu einer unbegrenzten Entwicklung dieses Tanzes, während eine unzureichende Partnerverbindung einige der größten Korrumpierungen dieses Tanzes erzeugt.

- Führen und Folgen sind die Basis der Tangosprache. Gutes Führen und gutes Folgen halten diesen Tanz ehrlich und spontan. Führen und Folgen zu transzendieren, ist auf höheren Beherrschungsebenen möglich.

- Die Enge der Verbindung und die individuelle Bewegungsfreiheit mögen zunächst im Widerspruch zueinanderstehen, begünstigen sich jedoch gegenseitig. Die Nähe der Umarmung kann zu Trainingszwecken geopfert werden, ist aber letztlich ein notwendiges Attribut des entwickelten Tangotanzens. DIE WICHTIGSTE HERAUSFORDERUNG bei der Partnerverbindung besteht darin, sich so vollständig wie möglich mit dem Partner zu verbinden und gleichzeitig die Freiheit und die Integrität der individuellen Körperbewegung zu bewahren.

- Eine gute Partnerverbindung schreitet in Richtung der Mühelosigkeit voran.

- Eine gute Partnerverbindung ist ausgewogen, im Gleichgewicht. Jegliches Aneinanderlehnen oder Gegeneinanderdrücken ist eine grobe (wenn auch leider allzu häufige) Verfälschung des Tanzes.

- Eine gute Verbindung hat eine Qualität der Stille.

- Die ultimative Partnerverbindung ist so zentriert und symmetrisch wie möglich, obwohl dies ohne außerordentlich guten körperlichen Bedingungen schwer zu erreichen ist. Bevor eine perfekt zentrierte Verbindung möglich ist, ist es wichtig, eine Verbindung zu schaffen, die eine allmähliche Zentrierung ermöglicht.

- Eine gute Partnerverbindung ist synchronisiert, das heißt, dass die individuellen Rhythmen und Gewichtsverlagerungen der Partner*innen aufeinander abgestimmt sind.

- Am Ende dieses Abschnitts fasse ich die wichtigsten praktischen Überlegungen zusammen.

Partnerverbindung

Eine gute Partnerverbindung ist das Herzstück des Tangos. Nach meiner Erfahrung liegt die unerschöpfliche Magie dieses Tanzes in der Verbindung zweier Menschen zu einem psycho-physischen Wesen. Deshalb ist das Kennzeichen guter Tänzer*innen vor allem, wie gut es sich anfühlt, mit ihm oder ihr zu tanzen. Ich kenne Leute in Buenos Aires, deren Repertoire aus nur drei verschiedenen Mustern besteht, die aber in der Lage sind, durch die Qualität ihrer Bewegung und Verbindung sehr angenehme Erfahrungen für ihre Partner*innen zu schaffen. Aber eine gute Partnerverbindung muss nicht eine begrenzte Choreographie bedeuten. Letztlich werden durch eine gute Partnerverbindung die erweiterten musikalischen und choreografischen Möglichkeiten des Tangos erreicht.

Ich werde zunächst auf das Führen und Folgen eingehen, die unterschiedlichen (männlichen und weiblichen) Anteile in diesem Tanz. Dann werde ich beschreiben, was meiner Meinung nach wichtige Aspekte einer guten Partnerverbindung sind:

Freiheit und Verbundenheit

Mühelosigkeit

Balance 

Stille

Zentriertheit

Synchronizität

Dies sind Aspekte der optimalen Partnerverbindung, die sehr schwer zu erreichen ist. Aber sie alle stellen Richtungen der Verbesserung dar, was bedeutet, dass schon ein wenig mehr Mühelosigkeit, Balance usw. eine bessere Verbindung schafft. Am Ende des Abschnitts erwähne ich einige Praktische Überlegungen und die verschiedenen Ansätze, die man verfolgen kann, bevor die optimale Partnerverbindung entwickelt ist.

Ich sage immer wieder, dass keine Aufschlüsselung, keine Teil-für-Teil-Analyse das Tanzen jemals vollständig beschreiben kann. Das Gleiche gilt für die Partnerverbindung. Die folgende Diskussion darüber kann einem*r ernsthaften Tangoschüler*in helfen, sich der häufigen Fallstricke und Einschränkungen, die oft unbemerkt bleiben, bewusst zu werden und sie zu überwinden. Die meisten der Aspekte, die ich erwähne – Freiheit, Integrität, Balance, Leichtigkeit, Zentriertheit, Synchronizität – sind in jeder Interaktion wünschenswert und daher ist es gut, darüber nachzudenken. Aber selbst dann sind die mächtigsten Werkzeuge für die Entwicklung einer guten Partnerverbindung unsere Sinne. Es geht in erster Linie darum, unsere physischen Sinne zu benutzen, um die Verbindung im Prozess des Tanzens zu verbessern, aber es geht auch um unsere künstlerischen, ästhetischen Sinne, sowie um unseren gesunden Menschenverstand. Eine schöne Verbindung innerhalb eines Tango-Paares zu sehen, kann mehr für das eigene Tanzen tun als alles Lesen und Nachdenken darüber. Die Partnerverbindung im Tangotanz berührt die archetypische Ebene der Psyche. Sie ist unweigerlich ein Ausdruck dafür, wie wir zu anderen Menschen und insbesondere zum anderen Geschlecht in Beziehung stehen. Bei einer guten Partnerverbindung sollten wir in erster Linie unserer Intuition und unseren Sinnen vertrauen, um die Schönheit darin zu finden. Darüber zu denken, zu reden und zu schreiben, wie ich es hier tue, kann diesen Prozess bestenfalls unterstützen, aber niemals ersetzen.

Führen und Folgen

Ein Tango-Paar besteht aus unterschiedlichen männlichen und/oder weiblichen Gegenstücken. Die Unterscheidung beginnt mit dem Führen und Folgen, wie bei den meisten Arten des Partnertanzes. Die Unterschiede hören damit nicht auf, aber auch die Unterscheidung zwischen Führen und Folgen ist nicht so eindeutig, wie es zunächst scheinen mag. Wie im „Yin-Yang“-Symbol des Tai Chi gibt es sowohl bei den Führenden als auch bei den Folgenden einen Teil des Anderen. An diesem Punkt scheinen mir die Begriffe „Führen“ und „Folgen“ nicht einmal sehr passend zu sein. Ich würde sagen, dass es eher wie „Frage und Antwort“ ist. Die Führenden initiieren, und die Folgenden antworten, aber beide führen und folgen bis zu einem gewissen Grad. Die Führenden sind am effektivsten, wenn sie es verstehen, ihrem*r Partner*in zu folgen, sich in ihre Bewegung einzufügen, und es ist am aufregendsten mit den Folgenden zu tanzen, wenn sie nicht nur folgen, sondern auch ihren eigenen Rhythmus und ihre Musikalität tanzen und damit die Führenden inspirieren.

Es mag auf den ersten Blick so aussehen, dass sich der oder die „Folgende“ dem*r „Führenden“ völlig unterordnen muss, um zu einem psycho-physischen Wesen zu verschmelzen, aber das ist nur eine oberflächliche Sichtweise. Zunächst einmal ist es viel einfacher, seinen Körper beim Folgen frei zu bewegen als beim Führen. Ein*e Führende*r braucht in der Regel viel länger, um sich frei zu bewegen, während er oder sie führt und sich gleichzeitig durch den Raum bewegt. Das bedeutet, dass die Führenden in gewisser Weise davon abhängig sind, wie gut sich die Folgenden bewegen, wie ich weiter unten noch genauer erklären werde. Wenn die Verschmelzung durch Leichtigkeit und Sensibilität füreinander erreicht wird, eröffnet sie sogar einen höheren Grad an Freiheit für beide Partner*innen. Die choreografische Freiheit ist für die Führenden etwas anders als für die Folgenden – die Folgenden übernehmen nie die Kontrolle über die Abfolge der Gewichtsverlagerungen. Aber sie haben eine größere interpretative Freiheit, in der Qualität des Schrittes, den Verzierungen und, wenn die Führenden fortgeschritten genug sind, dem Rhythmus und dem Timing jedes einzelnen Schrittes. Je sensibler und synchroner die Verbindung ist, desto mehr können die Führenden den Folgenden zuhören und ihre eigene Musikalität zum Ausdruck kommen lassen. In der Regel sind es die Führenden, die die Schrittfolge bestimmen, deshalb ist es wichtig, den Folgenden die Freiheit des Rhythmus zu lassen. Wenn die Führenden sowohl die Abfolge als auch den Rhythmus kontrollieren, dominieren sie die Folgenden zu sehr. Meiner Erfahrung nach werden die für beide am glückseligsten Zustände erreicht, wenn die Führenden sich soweit auf den Rhythmus der Folgenden einstellen, dass diese das Gefühl haben, sich nicht mehr anstrengen zu müssen, um zu „folgen“ (siehe Synchronizität unten). Die Folgenden beginnen dann, sich viel freier zu fühlen, zu tanzen und auf die Musik zu reagieren, was sowohl die unterschiedliche Intensität und Farbe ihrer Bewegung als auch die Verzierungen einschließt. Eine solche synchronisierte Verbindung macht es auch den Führenden möglich, das „Führen“ zu vergessen und größtenteils einfach zu tanzen – die jeweilige Bewegung bewirkt die Führung. Die Schrittfolgen werden mühelos kommuniziert und passen sich ganz natürlich dem jeweiligen Rhythmus der Folgenden an. Außerdem können die Führenden durch diese Integrität tatsächlich mehr verschiedene Schritte führen. Das mag für viele unwahrscheinlich klingen, und ich kann es auch nicht eindeutig zeigen, aber ich habe genügend Erfahrungen gemacht, die mich davon überzeugt haben.

Das „Führen und Folgen“ ist jedoch wesentlich für den Tango. Auf dem grundlegenden Unterschied zwischen den (männlichen und weiblichen) Rollen ist der ganze Tanz aufgebaut. Für beide Partner*innen gibt es unbegrenzte Freiheiten, die es zu entdecken, aber auch gewisse Grundregeln des Spiels, die es zu respektieren gilt. Ich habe einige Versuche gesehen, die Rollen der Führenden und der Folgenden in diesem Tanz anzugleichen, indem man sie im Verlauf eines Tanzes die Führung und das Folgen wechseln lässt. Meiner Erfahrung nach führen diese Versuche nicht zu einem sehr guten Tango. Es ist möglich, dass auf sehr fortgeschrittenen Tanzniveaus ein solcher Wechsel spontan stattfinden kann, aber wenn er absichtlich auf ein Stichwort hin erfolgt, unterbricht er nur den Fluss des Tanzes und zerstört seine nicht-kompetitive und spontane Natur. Meiner Erfahrung nach ist es besser, das Führende und das Folgende als Gegenstücke in diesem Tanz definiert zu lassen und die Partner*innen nach dem jeweils anderen suchen zu lassen, ebenso wie nach der Balance der Führenden und der Folgenden in sich selbst, jeweils vom Standpunkt ihrer jeweiligen Rolle aus. Tatsächlich genießen viele Menschen die klaren Definitionen der männlichen und weiblichen Rollen im Tango, denn sie haben das Gefühl, dass es davon im modernen Leben nicht genug gibt.

Freiheit und Verbundenheit

Eine große Herausforderung beim Tangotanzen ist es, eine enge und ununterbrochene Verbindung mit dem*r Partner*in herzustellen und gleichzeitig die Freiheit der individuellen Körperbewegung sowie die Freiheit der Choreographie und Musikalität dieses Tanzes zu bewahren. Oberflächlich betrachtet scheint es, dass eine engere Verbindung notwendigerweise die Freiheit der Choreographie einschränkt und dass die Partner*innen sich trennen müssen, um „mehr“ zu tanzen. Die meisten Tangotänzer*innen sind etwas hin- und hergerissen zwischen dem Wunsch nach Nähe und dem Wunsch, mehr „Schritte“ zu machen. Wenn die Nähe wichtiger erscheint, tendieren die Leute zum sogenannten „geschlossenen“ Stil, und wenn die Freiheit der Choreographie im Vordergrund steht, bevorzugen sie die „offene Umarmung“. Manche Menschen wechseln während desselben Tanzes zwischen diesen beiden Modi hin und her.

Der Hauptgrund für diese Zweiteilung ist wieder einmal die schlechte Körperhaltung. Bei den meisten führenden Tänzer*innen ist die Haltung etwas gekrümmt, so dass sich beim Versuch, dem*r Partner*in nahe zu kommen, die Köpfe noch vor der Brust treffen und es notwendig zu sein scheint, die Köpfe seitlich aneinander zu legen und über die Schultern des anderen zu schauen. Dies allein sorgt dafür, dass das Paar nie wirklich zentriert ist. Meist berühren sich die Köpfe letztendlich, was die ganze Verbindung starr macht und ihr die Fähigkeit zu „atmen“ nimmt – sich anzupassen und auszubalancieren. Die Partner*innen neigen dann dazu, ihre Arme sehr weit umeinander zu schlingen, um eine vollständige Einheit zu gewährleisten, was zu einer weiteren Verspannung und Verformung der Oberkörper führt. Außerdem lehnen sich viele „geschlossene“ Tänzer*innen am Ende aneinander an und geben ihr individuelles Gleichgewicht auf, was wahrscheinlich die größte Korruption dieses Tanzes ist (siehe Balance unten). Aufgrund dieser Einschränkungen ist die Freiheit der individuellen Körperbewegung stark beeinträchtigt, und die choreographischen Möglichkeiten eines „geschlossenen“ Tanzes sind extrem limitiert. Selbst grundlegende Muster wie die 8-Punkt-Drehung fühlen sich in dieser Art von Umarmung meist sehr unangenehm an.

All dies ist der Preis für eine enge Verbindung, die von vielen zu Recht als das Herz des Tangos angesehen wird. „Offene“ Tänzer*innen, die einen Abstand zueinander halten, geben diese essentielle Nähe auf, gewinnen aber (zunächst) mehr choreografische Freiheit, sowie die Freiheit der Körperbewegung. Sie müssen ihre Körper nicht verformen und können problemlos zentriert voreinander tanzen. Aber sie erreichen selten die Subtilität, die Sinnlichkeit und die Präzision, die man in einer engen Umarmung findet. Außerdem verschenken Tänzer*innen in offener Umarmung einen Großteil des evolutionären Potenzials des Tangos. Das Erreichen von Nähe und Freiheit zur gleichen Zeit erfordert eine Verbesserung des eigenen psycho-physischen Wesens, was beim Tanzen in der offenen Umarmung nicht der Fall ist. Eng miteinander zu tanzen erfordert ein viel höheres Maß an Präzision und Bewusstsein für den Körper des*r Partner*in. Und gerade in der engen Umarmung zeigt sich die Kraft des Tangos als Metapher für eine Beziehung am deutlichsten. Kann man nah und doch frei sein? Wenn man sich nahekommt, fängt man dann an, sich gegenseitig „auf die Füße zu treten“? Wenn man sich nahekommt, kann man dann „das Gleichgewicht halten“, oder fängt man an, sich „anzulehnen“, sich voneinander „abhängig“ zu machen? Verbindet man sich mit dem „Kopf“, mit dem „Bauch“ oder mit dem „Herz“? Solche Fragen sind in der Tat körperliche Ausdrücke des eigenen Charakters, der allgemeinen Beziehungsmuster. Sie im Tanzen zu erleben, ist eine Gelegenheit, sich ihnen zu stellen und an ihnen zu arbeiten, die Tänzer*innen mit offener Umarmung nie nutzen. Nahes Tanzen ist auch eine Probe für die Mühelosigkeit, die ein wesentliches Attribut jeder schönen Kunst ist – denn ein allgemeiner Grad an Spannung und Rauheit ist in einer engen Umarmung oft gegenwärtig.

Die ultimative Partnerverbindung ist gleichzeitig eng und frei. Dieses Verständnis existierte während der goldenen Zeit des Tangos in den 40er und 50er Jahren, als die meisten Menschen zwar nah mit dem*r Partner*in tanzten, aber niemals die Köpfe oder die Schultern miteinander verbanden. Außerdem wird paradoxerweise die größte Freiheit in diesem Tanz durch die tiefste Partnerverbindung erreicht. Wenn die Partner*innen in der Lage sind, nahe beieinander zu bleiben, ohne das Gleichgewicht zu verlieren oder die Körper miteinander zu verbinden, sind sie so viel mehr aufeinander eingestimmt, so viel mehr in der Lage, spontan aufeinander zu reagieren und daher mit einer größeren Freiheit zu improvisieren. Die Herausforderung besteht darin, sich so nahe wie möglich zu sein, sich fast zu berühren oder nur ganz leicht zu berühren, ohne jedoch aneinander hängen zu bleiben oder sich gegenseitig zu blockieren. In dieser engen, aber nicht fixierten Verbindung kann jede richtige Tango-Choreographie ausgeführt werden – die Körper können sich drehen und in Bezug zueinander verschieben, aber es gibt keine Notwendigkeit, sich jemals um mehr als ein paar Zentimeter zu trennen. Manchmal, wenn ich in der Lage war, eine solche Verbindung mit meiner Partnerin einzugehen, fing mein Körper an, choreographische Möglichkeiten zu entdecken, die ich mir nicht einmal vorgestellt hatte, die aber ganz natürlich aus dieser Ebene der Verbundenheit herauszukommen schienen. Gleichzeitig fühlte sich meine Partnerin plötzlich freier, um mit mehr Kreativität und Ausdruck zu tanzen. Solche Erfahrungen haben mir deutlich gezeigt, dass die größte Freiheit in der Choreographie und Musikalität durch die Verbesserung der Verbindung und durch das Aufrechterhalten der Verbindung erreicht wird. Jede*r Partner*in wird in die Lage versetzt, gleichzeitig als individueller Körper und als integraler Teil des Paares zu tanzen. Das Tanzen und die Kommunikation werden eins.

Manchmal ist es wertvoll in offener Umarmung zu tanzen. Man kann sofort die Zentriertheit, die Vertikalität und den allgemeinen Komfort erleben, der in enger Umarmung erst nach Jahren erreicht wird. Man kann auch, zumindest konzeptionell, mit mehr choreographischen Möglichkeiten experimentieren. Bis man jedoch eine Figur in enger Umarmung ausführen kann, hat man sie nicht wirklich gemeistert. Tanzen in offener Umarmung ist gut für einige Experimente und Entdeckungstouren, für Anfänger*innen, die es anfangs sehr unangenehm finden, in enger Umarmung zu tanzen, und auch für das Training der Balance, wenn eine*r oder beide Partner*innen sich daran gewöhnt haben, sich anzulehnen oder zu schieben (siehe Balance unten).

Wahrer Tango wird immer eng getanzt, in einer Umarmung, die flexibel, aber ungebrochen ist. „Tango es para bailar tomado“ – „Tango ist zum Tanzen in einer Umarmung“, sagten die Alten. Nachdem ich wiederholt sowohl mit der offenen als auch mit der engen Umarmung experimentiert habe, bin ich zu demselben Ergebnis gekommen. Nur in einer engen Umarmung findet man die wahre Tiefe und evolutionäre Bedeutung dieses Tanzes. Aber man muss aufpassen, dass man nicht in Extreme verfällt: „Eng“ bedeutet nicht „festgefahren“ oder „aus dem Gleichgewicht“. In einer engen Umarmung sollten beide Partner*innen perfekt ausbalanciert sein und außer den Händen sollten keine Punkte des Körpers in dauerhaftem Kontakt gehalten werden. Der Hauptpunkt ist die Nähe und das Gefühl, zu umarmen und umarmt zu werden. Ein solches Gefühl ist auch dann möglich, wenn die Partner*innen nur ein oder zwei Zentimeter voneinander entfernt sind; umso geringer der Abstand ist, desto besser. Eine inakzeptabel offene Umarmung ist leicht daran zu erkennen, dass die rechte Hand der Führenden an der Seite des Körpers der Folgenden landet, statt irgendwo auf ihrem Rücken.

Der Hauptweg zum Erreichen der engen, aber freien Verbindung ist die Arbeit am Körper, die ich im Abschnitt Körperarbeit besprechen werde. Zum Beispiel ist es möglich, die Körperhaltung allmählich so zu verbessern, dass sich die Köpfe nicht mehr berühren müssen, auch wenn die Oberkörper der Partner*innen direkt aneinander grenzen. Durch die Verbesserung des Stehens und Gehens ist es möglich, allmählich mehr und mehr Bewegungsfreiheit des Körpers in einer engen Umarmung zu spüren. Bis solche optimalen Körperbedingungen erreicht sind, ist meine Empfehlung, der Versuchung zu widerstehen, die „Schritte“ zu tanzen, die eine gute Verbindung zu stören scheinen. Eine gute Verbindung sollte Vorrang vor einer abwechslungsreichen Choreografie haben. In der Tat ist jeder „Schritt“, der eine gute Verbindung zu stören scheint, einfach nicht richtig ausgeführt. Die Verbindung sollte schrittweise entwickelt werden, bis alle „Schritte“ ganz natürlich daraus hervorgehen. Das ist eine große Aufgabe, besonders für viele führende Tänzer*innen. Als ich zum ersten Mal Tango lernte, wollte ich nur mehr „Schritte“ lernen. Allmählich verstand ich und erlebte eine tiefere Freude an diesem Tanz, die sehr wenig damit zu tun hatte, wie viele verschiedene Muster ich ausführen konnte, und es ging mehr um die Qualität der Verbindung und Musikalität. Ich bemerkte, dass ich beim Versuch, einige der schwierigeren Figuren auszuführen, eine gute Verbindung verlor und aus dem Takt der Musik fiel. Schließlich beschloss ich, etwa 95% aller „Schritte“, die ich im Unterricht „gelernt“ hatte, zu vergessen und nur noch das zu tun, was eine gute Verbindung nicht behinderte. Ich arbeitete auch weiter an meinen körperlichen Fähigkeiten, und als sich diese verbesserten, begannen viele choreografische Muster, die sich zuvor schwierig angefühlt hatten, spontan und ohne Verbindungsverlust zu entstehen. Zum Beispiel kann ich jetzt alle sechs Vorwärts-Sacadas machen, ohne mich zu trennen, was sich vor 5 Jahren noch unmöglich anfühlte. Meiner Erfahrung nach ist eine solche Herangehensweise besser, als an schwierigen choreografischen Mustern festzuhalten und sie immer und immer wieder zu üben und darauf zu warten, dass sie aufhören, eine gute Verbindung zu stören. Es ist viel effektiver, sich auf eine gute Verbindung zu konzentrieren und die Choreografie folgen zu lassen.

Die Herausforderung, gleichzeitig die Integrität des Paares und die Freiheit des individuellen Ausdrucks zu erreichen, würde den Tango an sich schon zu einer lohnenden Beschäftigung machen. Insofern ist er eine Metapher für jede Beziehung, insbesondere für die Beziehung zwischen den einzelnen Geschlechtern. Man hat die Chance, die Abhängigkeit von Freiheit und Verbundenheit physisch zu entdecken.

Mühelosigkeit

Die Mühelosigkeit der Partnerverbindung ist wie ein Tor, das den Weg zur Freiheit, Integrität und Synchronizität der Verbindung öffnet. Ohne sie kann man sich nicht einmal des*r Partner*in oder des eigenen Körpers und der eigenen Bewegung ausreichend bewusst sein. Wenn man nur an einer Sache arbeiten will, dann soll es die Mühelosigkeit sein – viele andere gute Dinge werden automatisch mit ihr einhergehen.

Je mehr Spannung ich aus der Umarmung „ablassen“ konnte, desto magischer wurde der Tanz. Je müheloser die Verbindung wird, desto besser können die Partner*innen die Bewegung des anderen spüren und direkter aufeinander reagieren. Sie sind sich der Kommunikationsmittel immer weniger bewusst, und der Tanz fühlt sich mehr und mehr wie ein spontaner Dialog an.

Eine gute Möglichkeit, die Verbindung müheloser zu gestalten, besteht darin, die eigene Aufmerksamkeit auf alle Berührungspunkte mit dem*r Partner*in zu lenken und zu beabsichtigen, dass der Druck so leicht wie möglich, so wenig wie möglich vorhanden ist. Eine weitere nützliche Absicht ist, sich jeder Bewegung des*r Partner*in sofort nachzugeben und zu folgen4 (das gilt für Führende und Folgende). Dieses Prinzip ist grundlegend für müheloses Training im Tai Chi. Es ist auch nützlich, sich vor Augen zu halten, dass alles mit dem Unterkörper kommuniziert werden kann, letztlich nur mit dem Druck der Füße auf dem Boden. Es kann Jahre dauern, um zu diesem Punkt zu gelangen, aber man kann immer versuchen, die Anstrengung nach unten, näher zum Boden, „abzulassen“. Der Oberkörper sollte ein müheloser und zunehmend sensibler „Zuhörer“ der eigenen Partner*in sein. Jegliche notwendige Anstrengung kann und sollte sich auf den Unterkörper – das Zentrum und die Beine – beschränken. Dann wird die Grenze zwischen Führen/Folgen und einfachem Tanzen verwischt. Es ist sehr hilfreich, darauf zu achten und jegliche Manipulation im Oberkörper zu eliminieren, die oft unbemerkt bleibt. Ich versuche sicherzustellen, dass ich überhaupt nicht mit den Armen oder dem Brustkorb führe und beabsichtige, dass die gesamte Kommunikation aus der Körpermitte kommt und die ganze Kraft – nur aus dem Druck der Füße auf dem Boden. Deshalb hängt die Qualität der Partnerverbindung stark vom Grad der eigenen Erdung ab.

Letztlich sollte auch die Anstrengung in den Beinen und den Füßen auf ein Minimum reduziert werden. Die Mühelosigkeit der Verbindungen hängt letztlich von der Entspannung des ganzen Körpers ab. Entspannung ist ein schwieriges Thema, auf das ich im Abschnitt Körperarbeit eingehe. Es ist ein Aspekt einer guten Körperbewegung, an dem man sowohl außerhalb als auch auf der Tanzfläche arbeiten kann. Mehr Entspannung beim Tanzen führt sofort und fast automatisch zu einer sensibleren und müheloseren Partnerverbindung. Genauso wie man alle Berührungspunkte auf Druck „scannen“ kann, kann man auch den eigenen Körper auf Verspannungen scannen, mit der Absicht, diese loszulassen. Das Alexander-Prinzip, das ich im Abschnitt Körperarbeit bespreche, kann direkt beim Tanzen angewendet werden und zu sofortigen Verbesserungen aller Aspekte des Tanzes führen, insbesondere der Verbindung mit dem*r Partner*in.

Neben der Erdung und Entspannung des Körpers ist seine Vertikalität auch sehr wichtig für die Mühelosigkeit der Partnerverbindung. Gerade einige der anspruchsvolleren choreographischen Möglichkeiten des Tangos werden erst dann leicht, wenn beide Partner*innen mit ihren Achsen zueinander in Beziehung stehen. Wenn der Körper des*r einen wie in der Vertikalen schwebt, reicht oft schon ein kleines „Schwingen“ des Körpers in diese oder jene Richtung, um die Führung zu übernehmen. Deshalb sagten viele Alte, dass man aufrecht stehen können muss, um gut Tango zu tanzen. Die Vertikalität in einer engen Umarmung erfordert eine außergewöhnliche Körperkondition. Ich ertappe mich immer noch oft dabei, dass ich die Vertikalität der Nähe zuliebe opfere und mich etwas nach vorne beuge, wenn auch viel weniger als früher.

Die Absicht, „loszulassen“, Spannung und Anstrengung „loszulassen“, ist gut, kann aber manchmal vom Körper als eine Art Zusammenbruch oder eine Akzeptanz von Machtlosigkeit verstanden werden. Ich habe die Intention, zu neutralisieren, als sehr hilfreich empfunden. Sie kann sowohl auf das eigene Gewicht angewandt werden, als auch auf jegliche Anstrengung, die man in der Verbindung oder im Körper des*r Partner*in antrifft. Die Intention zu neutralisieren provoziert eine instinktive Ausrichtung des Körpers in genau der richtigen Weise, um jedes momentane Ungleichgewicht mühelos auszugleichen. Wenn man dagegen die Absicht hat, dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, wird man über das Ziel hinausschießen. Die Neutralisierung sollte von der Körpermitte aus projiziert und auf das ganze Paar gleichzeitig angewendet werden. Dies ist ein Beispiel für die reine Intention, die zunächst zu mystisch erscheinen mag, am Ende aber effektiver ist als „Mechanismen“ und „Techniken“.

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4 Im Englischen „stick and yield“, diese Formulierung wird noch häufiger aufgegriffen. Eine aktivere Formulierung in Bezug auf den Impuls könnte „aufgreifen und daraus schöpfen“ sein.


Balance / Gleichgewicht

Es gibt ein weit verbreitetes Missverständnis unter Tangotänzer*innen, dass eng tanzen bedeutet, sich aneinander zu lehnen oder zu drücken. Das ist eine der größten Korrumpierungen dieses Tanzes, die mir bekannt ist. Im goldenen Zeitalter des Tangos war dies undenkbar. Einige Performance-Künstler*innen nutzten die Off-Balance-Position für einen übertriebenen oder komischen Effekt, aber es war kein richtiges tanzen. Ein menschlicher Körper kann sich nicht richtig bewegen, wenn er seines Gleichgewichts beraubt ist. Eine große Herausforderung beim Tango tanzen ist es, sich ganz mit dem*r Partner*in verbunden zu fühlen und gleichzeitig das eigene Gleichgewicht und die Integrität der Bewegung zu bewahren. Tanzen aus dem Gleichgewicht gebracht, ist eine Abkürzung zu einer engen Verbindung, aber gleichzeitig auch eine Sackgasse. Es ist immer ein gewisses Maß an übermäßiger Muskelspannung in beiden Körpern notwendig, um die Off-Balance-Position aufrechtzuerhalten, was bedeutet, dass das Prinzip der Mühelosigkeit dort schnell limitiert wird. Außerdem funktionieren die meisten choreografischen Möglichkeiten des Tangos niemals gut, wenn der Körper nicht im Gleichgewicht ist.

Die Balance muss vollständig sein – selbst wenn nur das Gewicht des Arms der Folgenden auf die Schulter der Führenden gelegt wird, wird das ganze Paar seines Gleichgewichts beraubt. Bei den meisten Anfänger*innen dauert es einige Zeit, bis sie die nötige Ausdauer in den Armen entwickeln, um sie für die Dauer eines Liedes oder sogar einer Tanda halten zu können. Tänzer*innen, die nicht darauf achten, gewöhnen sich oft daran, an Führenden „zu hängen“ oder ihre Körper als Armstütze zu benutzen. Weniger auffällig ist das Off-Balance-Tanzen auch, wenn die Folgenden den Bewegungen der Führenden „Widerstand“ entgegensetzen und sich von ihnen körperlich über die Tanzfläche schieben lassen. Selbst einige der erfahrensten Tänzer*innen verfallen in diese schlechte Angewohnheit. Es scheint, dass sie sich oft nicht bewusst sind, dass sie sich schieben lassen, so sehr haben sie sich daran gewöhnt. Im reinen Tangotanz bewegen sich die Folgenden selbständig, sie folgen aktiv, wählen, sich mit den Führenden zu bewegen und gleichzeitig verbunden zu bleiben, statt sich herumschieben zu lassen. Dies zu lernen, würde für viele Tänzer*innen eine grundlegende Umschulung bedeuten, fast so, als würde man wieder zum*r Anfänger*in werden, wozu leider nur wenige erfahrene Tänzer*innen bereit sind.

Der Hauptgrund, warum solche aus dem Gleichgewicht geratenen Korrumpierungen so häufig sind, ist, dass sie Abkürzungen zu einer engeren Verbindung schaffen. Es ist zunächst viel schwieriger, gleichzeitig eine enge Umarmung aufrechtzuerhalten und die Körper perfekt im Gleichgewicht zu halten. Aber mit etwas Geduld und Arbeit an der eigenen Haltung und Bewegung ist es durchaus möglich. Das Problem ist, dass viele Tänzer*innen in der Off-Balance-Position hängen bleiben, weil sie dadurch schneller eine ungebrochene Verbindung, eine vielfältigere Musikalität und Stille erreichen, und dann fällt es ihnen schwer, sie aufzugeben und darauf zu warten, dass das Gleiche mit weniger korrupten Mitteln geschieht. Insbesondere macht es das Anlehnen den Führenden viel leichter, die Gewichtsverlagerung der Folgenden zu verlangsamen – ein sehr wichtiges Merkmal des fortgeschritteneren Tanzes, das viel schwieriger, aber durchaus möglich ist, ohne die Balance zu opfern (siehe Synchronizität unten). Ein weiterer Grund, warum Menschen aus dem Gleichgewicht tanzen, ist psychologischer Natur – es kann stressig sein, so nah beieinander zu sein und sich dennoch nicht aneinander festzuhalten.

Nehmen wir an, man versteht, dass es besser ist, in der eigenen Balance zu tanzen. Aber was kann man tun, wenn die Partner*innen nicht einverstanden sind? Die erste Antwort lautet: Tanze nur mit Menschen, die dich in ausbalancierter Weise tanzen lassen. Wenn solche Menschen aber schwer zu finden sind, kann man sich auch allmählich aus den unbalancierten Gewohnheiten herauslösen, ohne dass die anderen es merken. Das erfordert viel Zeit und Geschick, hat aber einen guten Effekt auf die gesamte Tangogemeinschaft, denn viele dieser Partner*innen werden irgendwann die Vorteile des ausgeglichenen Tanzens spüren. Für die Folgenden geht es vor allem darum, „nachzugeben und zu folgen“, ohne sich anzulehnen, zu „hängen“ oder „Widerstand zu leisten“ – im eigenen Gleichgewicht zu sein, ohne die Verbindung zu unterbrechen. Die Fähigkeit das zu tun, hängt von Erdung und Entspannung ab (siehe Abschnitt Körperarbeit). Für die Führenden ist es tatsächlich möglich, das ganze Gewicht, das die Partner*innen auf sie abzulegen versuchen, zu neutralisieren. Das geschieht am besten mit der reinen Absicht zu neutralisieren, die ich oben erwähnt habe. Man kann auch versuchen, jedem Druck der Folgenden nachzugeben, aber ich habe festgestellt, dass dies weitgehend unwirksam ist: Folgende, die sich daran gewöhnt haben, geschoben oder gestützt zu werden, beginnen ständig zu stolpern und zu fallen. Wenn die Neutralisierung nicht zu funktionieren scheint (es ist eine sehr fortgeschrittene Fertigkeit), empfehle ich, sich nur ein wenig zu entfernen, genug, um keinen Kontakt mit dem Kopf, dem Rumpf oder den Schultern zu haben. Das ist der Fall, indem die leicht „offene“ Umarmung nützlich ist. Das ist auch, glaube ich, was die Folgenden tun sollten, wenn die Führenden versuchen, sie in eine Anlehnung zu ziehen, was wie ich höre, ziemlich oft passiert.

Ich kann nicht genug betonen, dass meiner Meinung nach das Off-Balance-Tanzen die größte moderne Korrumpierung der Praxis des Tangos ist. Während meiner letzten Reisen nach Buenos Aires konnte ich den Kontrast zwischen den älteren Damen, mit denen ich tanzte, von denen sich keine jemals „anlehnte“ oder sich „schieben“ ließ, und den jüngeren Frauen, von denen die meisten auf eine Off-Balance-Verbindung bestanden, kaum glauben. Ich endete damit, dass ich die meiste Zeit mit den älteren Damen tanzte, weil ich das Gefühl hatte, dass die Off-Balance-Situation korrupte Muster in meinem Tanzen erzeugte.

Stille

Ich erwähne die Stille immer wieder, denn sie hat eine enorme Wirkung auf alle Aspekte des Tanzes. Stille kann nicht nur innerhalb der individuellen Bewegung, sondern auch in der Partnerverbindung erlebt werden. Sie bedeutet die Leichtigkeit, anzuhalten, zu verlangsamen oder zu beschleunigen – in jeder Phase der Bewegung. Im Idealfall läuft alle Bewegung innerhalb der Stille ab. Jemand, der das noch nie erlebt hat, kann sich vorstellen wie sich alles, ohne jede Anstrengung, in eine extreme Zeitlupe verwandelt. Letztlich erlaubt die Stille dem Paar auch, sehr schnelle Muster auszuführen, ohne die gute Verbindung zu verlieren. Sie ermöglicht es den Partner*innen, kontinuierlich aufeinander zu reagieren, nicht nur zu bestimmten günstigen Zeitpunkten. Zum Beispiel sollte ein Paar in der Lage sein, in jeder Phase des Schrittes innezuhalten, nicht nur am Anfang oder am Ende des Schrittes. Führende, die diese ununterbrochene Stille erreichen, eröffnen den Folgenden enorme Freiheitsgrade, denn egal, was sie tun oder wie lange sie dafür brauchen, ihre Körper sind in der Lage, zu reagieren und/oder auf die Folgenden zu warten. Das ist der Moment, in dem der Tanz wirklich zu einem Dialog werden kann. Die Stille eröffnet auch eine größere Freiheit in der gegenseitigen Improvisation. Wenn jeder Schritt in Stille abläuft, ist Zeit, kreativ zu erforschen und zu spielen und manchmal neue choreografische Möglichkeiten zu entdecken, ohne den Fluss des Tanzes zu unterbrechen. Ein „Fehler“ passiert nur, wenn die Verbindung verloren geht oder, wenn jemand aus dem Gleichgewicht gerät. In der Stille können sowohl die Verbindung als auch das Gleichgewicht so sicher werden, dass man in der Lage ist, praktisch ohne Risiko zu experimentieren. Es ist interessant, dass ein*e Partner*in den oder die andere*n in die Stille bringen kann. Wahrscheinlich ist es für die Führenden einfacher, aber Folgende können das definitiv auch – ich habe es auf beide Arten erlebt.

Wahre Stille ist abhängig von der Neutralisierung einer Anstrengung und der Zentrierung, aber noch mehr von gutem Gehen. Durch gutes Gehen können die Folgenden die Verbindung müheloser und schwereloser gestalten, indem sie der Bewegung der Führenden „folgen“, ihr aber gleichzeitig nachgeben. (Ich werde dies im Abschnitt über Körperarbeit erläutern). Für die Führenden ist es durch „Folgen und Nachgeben“ der Bewegung des*r Partner*in auf die gleiche Weise möglich, die Anstrengung im Körper der Folgenden zu neutralisieren (durch Intention) sowie ihre Mitte und Achse zu finden (durch Aufmerksamkeit).

Von der Erfahrung der Stille wird in vielen Bereichen gesprochen, z. B. im Sport, in der Kampfkunst, in anderen Tanzarten, beim Reiten. Man findet sie meist, indem man sie beabsichtigt und die Momente wahrnimmt, in denen plötzlich mehr Stille auftritt. Insbesondere beim Tangotanzen habe ich es als nützlich empfunden, Stille von oben nach unten zu beabsichtigen und zu versuchen, die Hände, die Schultern und den Kopf so ruhig wie möglich zu halten (aber nicht steif). Ich versuche mir vorzustellen, dass die Hände nur dazu da sind, sich in der Stille zu halten, aber nicht um zu führen – das Zentrum des Körpers ist das, was führt und auf die Führung reagiert. Die Hände (vor allem die linke Hand der Führenden und die rechte Hand der Folgenden) sind immer noch „Knotenpunkte“, die die Kommunikation übertragen, aber nicht initiieren.

Zentriertheit

Die ideale Position des Paares ist die zentrierte Position. Damit meine ich, dass die Partner*innen direkt voreinander stehen, einander zugewandt sind und ihre Schultern und Hüften parallel zu denen des*r Partner*in orientiert sind. Diese Position ist sehr schwer zu erreichen, weshalb Tango meist in einer versetzten Art getanzt wurde, mit dem Körper der Folgenden an der rechten Seite der Führenden. Einige fortgeschrittene Tänzer*innen aus den 40er und 50er Jahren waren jedoch in der Lage, die mehr zentrierte Position zu erreichen und sprachen sich dafür aus. Tango tanzt man am besten „bien enfrentados“, sagten sie. Die Fähigkeit, so in einer engen Umarmung zu tanzen, hängt wiederum von der Entwicklung der richtigen natürlichen Bewegung und Haltung ab. Der Kopf, der Brustkorb und das Becken müssen vertikal gut ausgerichtet sein, so dass sich die Körper von vorne berühren können, ohne dass sich die Köpfe berühren. Die Hüften und die Beine müssen ihre richtige Bewegungsfreiheit haben, damit es keine Störungen beim geraden Gehen gibt. Ich bin noch weit davon entfernt, dies vollständig zu erreichen, aber ich bin schon jetzt in der Lage, mit einigen Leuten zentriert zu tanzen, genug um zu wissen, dass es möglich ist. Die Abbildungen 7(a) und 7(b) zeigen Beispiele dafür, wie eine schlechte Körperhaltung die ultimative Partnerverbindung beeinträchtigt. In diesen beiden Fällen sind die Partner*innen gezwungen, die Köpfe seitlich voneinander zu platzieren, und bleiben höchstwahrscheinlich auch mit den Köpfen „hängen“. Eine perfekte Zentrierung ist dort unmöglich. Abbildung 7(c) zeigt eine bessere Haltung beider Partner*innen, bei der sie sich nahe und doch zentriert sein können und auch viel mehr individuelle Bewegungsfreiheit behalten.

 

ABBILDUNG 7: Schlechte und gute Körperhaltung.

Die ultimative Eleganz des Tangos liegt in der perfekten Zentriertheit des Paares. Je näher wir einer solchen Symmetrie kommen, desto natürlicher fügt sich alles andere ein, vor allem Mühelosigkeit, Synchronizität und Integrität. Wenn die Position nicht perfekt zentriert ist, sind immer einige subtile Manipulationen notwendig, irgendwo werden Opfer gebracht, die keine volle Entspannung erlauben und den Tanz nicht so frei sein lassen, wie er in der zentrierten Position ist.

Eine gute Verbindung ist in mehr als einer Hinsicht zentriert. Die Bewegung des Paares ist ausbalanciert, wenn sie um ein gemeinsames Zentrum verläuft, ebenso wie um eine gemeinsame Achse. Manche Menschen glauben, dass es zwei verschiedene Arten gibt, Tango zu tanzen: entweder mit einer gemeinsamen Achse oder mit getrennten Achsen. Nach meiner Erfahrung ist diese Dichotomie jedoch nicht notwendig. In einer engen und zentrierten Verbindung gibt es keinen Konflikt zwischen der Achse eines jeden Partners und der Achse des Paares. Es ist sehr schwierig und wahrscheinlich unnötig, sich vor Augen zu führen, zu visualisieren, wie sich die einzelnen Achsen zur gemeinsamen Achse verhalten, aber es ist sehr wohl möglich, es zu spüren. Ich habe es als nützlich empfunden, nach der Achse meiner Partnerin zu suchen (durch Aufmerksamkeit) und zu versuchen, sie still sein zu lassen (durch Intention). Im besten Fall habe ich das Gefühl, dass ich ihre Achse im Gleichgewicht sein lasse, als ob sie von oben herab schweben würde. Ihre Achse irgendwohin zu bewegen, bedeutet zu beabsichtigen, dass sie auf eine ausgeglichene Weise „schwingt“, im Gegensatz dazu, sie aus dem Gleichgewicht zu „kippen“.

 

ABBILDUNG 8: Kippen und Schwingen der Achse.

Man kann argumentieren, dass eine perfekte Zentriertheit in einer Tango-Umarmung unmöglich ist, weil die linken und rechten Arme nicht symmetrisch gehalten werden. Das ist wahrscheinlich wahr, aber was ich meine ist das Gefühl der Zentriertheit, was bedeutet, dass obwohl einige Kompensationen für die Asymmetrie der Arme auftreten, die Körper das Gefühl haben sich gegenseitig von Mitte zu Mitte finden zu dürfen – wie die Nadel eines Kompasses, die den Norden findet. Wenn eine solche Freiheit besteht, fühlt es sich so an, als ob die beiden Körper um ein gemeinsames Zentrum herum ausbalanciert sind, und eine leichte Abweichung des einen Körpers von diesem Zentrum wird vom anderen sofort wahrgenommen und beantwortet.

Eine perfekt zentrierte Verbindung, die gleichzeitig eng ist, ist unglaublich schwer zu erreichen – es braucht außergewöhnliche Körperbedingungen. Für die meisten von uns mit weniger als perfekten Körperbedingungen ist es wichtig, einen Weg für eine allmähliche Zentrierung zu finden. Die übliche Position in enger Umarmung z. B. macht eine Zentrierung unmöglich, da die Köpfe immer nebeneinanderliegen, wie in Abbildung 9(a). Wenn sich die Köpfe in irgendeiner anderen Weise als „frontal“ (was komisch wäre) berühren, ist die Möglichkeit der Zentrierung effektiv blockiert. Eine Möglichkeit ist, sich so weit zu trennen, dass sich die Köpfe nicht berühren müssen, und zu versuchen, sich allmählich so weit wie möglich anzunähern, ohne „stecken zu bleiben“. Aber das getrennte Tanzen raubt dem Tango einige wesentliche Eigenschaften, wie ich oben erklärt habe. Deshalb empfehle ich die so genannte „gewinkelte“ Position (Abbildung 9(c)):

 

ABBILDUNG 9: Geschlossene, Antike und Gewinkelte Umarmung.

Die „gewinkelte“ Position war in den 30er, 40er und 50er Jahren tatsächlich die häufigste unter den Tänzer*innen, wie man aus einigen erhaltenen Videos und Fotos ersehen kann. Man sah nur selten, dass sich die Köpfe berührten, und der Blick über die rechte Schulter der Führenden (wie es bei der engen Umarmung üblich ist) wurde als ineffizient und als Gebiet von unerfahrenen Tänzer*innen angesehen, wie ich von einigen Alten direkt gehört habe. Die einzige Variation war, dass die Folgenden manchmal direkt an der rechten Seite der Brust der Führenden standen (Abbildung 9(b)), was sich für einige vielleicht bequemer anfühlt, aber meiner Meinung nach nicht so gut ist wie die Position in Abbildung 9(c).

Ich glaube, dass die gewinkelte Position, die auf der linken Seite der Führenden offener ist, das „Kreuz“ auf der linken Seite überhaupt erst geschaffen hat. Der Winkel kann je nach Bequemlichkeit und Körperhaltung beider Tänzer*innen eingestellt und allmählich verringert werden, wodurch eine zunehmend zentrierte und parallele Verbindung entsteht.

 

ABBILDUNG 10: Zentrierung der gewinkelten Umarmung.

Zentriertheit ist vielleicht der schwierigste Aspekt einer guten Partnerverbindung – wir müssen geduldig mit uns selbst und dem anderen sein und offen dafür sein, es von verschiedenen Ausgangspunkten aus anzugehen, wie ich in Praktische Überlegungen erläutern werde.

Synchronizität

Die erhabenste Verbindung zwischen Tangopartner*innen wird erreicht, wenn ihre Gewichtsverlagerungen miteinander verbunden werden. Ich nenne es Synchronisation, aber der Begriff ist nicht exakt. Ich kann kein gutes Wort dafür finden – es ist eher wie ein „Einstimmen“, denn ich meine nicht, dass die Partner*innen das Gewicht immer zur gleichen Zeit übertragen sollten. Es gibt zum Beispiel einige Schritte, bei denen eine*r der Partner*innen das Gewicht überträgt, der oder die andere aber nicht. Aber selbst bei diesen Schritten ist es möglich, in die Gewichtsverlagerung des*r Partner*in „hineinzugelangen“. Ich fand das besonders wahr aus der Sicht des Führenden, aber ich glaube, es gilt in fast gleicher Weise für den folgenden Part. Es geht darum, die Gewichtsverlagerung des*r Partner*in zu spüren und zu begleiten und dabei so ruhig und balanciert wie möglich zu bleiben. Für die meisten Menschen beinhaltet das Gehen heutzutage ein gewisses Maß an sanftem Fallen von einem Fuß auf den anderen. Manche Menschen schaffen es, dieses Fallen mit dem*r Partner*in so zu synchronisieren, dass sich das Tanzen einigermaßen verbunden anfühlt, aber wenn man lernt, sich in der Stille zu verbinden, betritt man eine ganz andere Dimension. Wenn man in der Lage ist, sich mit dem Schritt des*r Partner*in zu verbinden und dabei perfekt im Gleichgewicht zu bleiben, kann man die Bewegung de*r Partner*in ganz sein lassen, wie sie ist, ohne die Integrität des Paares zu brechen. Wenn eine*r der Partner*innen dazu in der Lage ist, ist das Tanzen angenehm. Wenn es beide Partner*innen tun, eröffnet sich eine große Dimension der musikalischen Freiheit und der gemeinsamen Improvisation. Synchronisation ist eine der wichtigsten Fähigkeiten für eine*n Tangotänzer*in. Nach meiner Erfahrung ist sie das Haupttor zur Freiheit in diesem Tanz. Je mehr man in die Gewichtsverlagerung des Partners „hineingelangt“, „hineingelangt“ in jeden Schritt, ihn in der Stille begleitet, desto müheloser und freier wird die Verbindung. Die Alten wiesen auf diese Fähigkeit hin, als sie sagten: „Viele können folgen, aber nicht viele können begleiten“. Mit „begleiten“ meinten sie, bei jedem Schritt, bei jeder Gewichtsverlagerung mit dem*r Partner*in zu sein.

Die „Übertragung von Gewicht“ ist ein weiterer Standardausdruck, der mir nicht korrekt erscheint, denn gutes Tanzen fühlt sich ziemlich schwerelos an. Es ist die Übertragung von Gewicht, aber wenn es gut ist, fühlt es sich weniger wie Gewicht und mehr wie Energie an. Im Tai Chi verwendet man etwas passendere Begriffe wie „einen Fuß leeren“ und den anderen „füllen“. Das Konzept von „Gewicht“ provoziert Schwere, was für das Tanzen nicht gut ist. Jegliches Gefühl von Gewicht, außer auf den Fußsohlen, sollte neutralisiert, sich entledigt werden.

Bevor eine ausreichend gute Körperfähigkeit erreicht ist, kann die Synchronisation durch verschiedene Techniken unterstützt werden, wie z. B. durch „erst den Fuß, dann den Körper“ (siehe Abschnitt Körperarbeit). Dies ist besonders für den folgenden Part nützlich. Es bedeutet, den schreitenden Fuß leicht auf den Boden zu setzen, während das meiste Gewicht auf dem anderen Fuß bleibt. Dadurch wird das „Hineinfallen“ in den Schritt (Verlagerung des Gewichts fast gleichzeitig mit dem Aufsetzen des Fußes auf den Boden) effektiv vermieden, und man kann sich leichter auf die Gewichtsverlagerung des*r Partner*in einstellen, indem man wartet und erst dann verlagert, wenn das Gegenüber dies tut, und zwar so schnell oder so langsam wie der oder die andere. Diese Technik ist besonders für die Folgenden nützlich und kann einen großen Unterschied für ihre Fähigkeit sich zu verbinden, ausmachen. Es ist wahrscheinlich das Wichtigste, was ein*e Folgende*r lernen muss, um sich anfangs beim Tanzen wohl zu fühlen. Letztlich geht es aber nicht um irgendeine Technik, sondern wieder einmal um die Verbesserung der grundlegenden Bewegung. Eine gute natürliche Bewegung ist leicht zu kontrollieren, man kann sie nach Belieben verlangsamen oder beschleunigen. Beim guten Gehen gibt es eine natürliche Trennung von Schritt und Gewichtsverlagerung, was die Belastung der Gelenke minimiert und es außerdem ermöglicht, in jeder Phase des Schritts anzuhalten und die Richtung leicht zu ändern (mehr dazu im Abschnitt Körperarbeit). Wenn die natürliche Bewegung nicht gut entwickelt ist, muss man in der Regel einige Techniken anwenden, um z. B. die allmähliche Gewichtsverlagerung zu erreichen. Das ist der Grund, warum viele Folgende lernen, das Bein künstlich nach hinten zu strecken – das lässt den Tanz zunächst besser funktionieren, fühlt sich aber nie so erhaben an (für beide Partner*innen) wie die gute natürliche Bewegung, frei von jeglichen mechanistischen Techniken.

Für die Führenden ist die Herausforderung ähnlich – den oder die Partner*in in der Stille zu begleiten, aber ihre Herangehensweise sollte meiner Meinung nach eine andere sein. Während für die Folgenden der Hauptfokus darauf liegen sollte, ihren eigenen Gewichtstransfer zu verlangsamen (ohne Widerstand), geht es für die Führenden mehr darum, den Transfer des*r Partner*in zu verlangsamen (ebenfalls ohne Widerstand). Die Folgenden initiieren den Gewichtstransfer nicht – die Führenden schon. Das heißt, sie können lernen, es so zu initiieren, dass die Folgenden nicht von einem Fuß auf den anderen „fallen“. Eine gute Bewegung nutzt die Schwerkraft und beinhaltet immer ein gewisses „Fallenlassen“ oder besser gesagt ein Ablassen. Es ist jedoch kein Fallenlassen von einem Fuß auf den anderen, sondern eher ein Absenken, wobei der vorherige Fuß (der, der nicht geht) wie angewurzelt bleibt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Führenden lernen, vorwärts zu gehen und dabei im vorigen Fuß verwurzelt zu bleiben (siehe Erdung im Abschnitt Körperarbeit). Durch ihre Bodenständigkeit können sie sich effektiv auf die Bewegung der Folgenden einstellen, sie erden und ausbalancieren, so dass die Führenden sich nicht auf jene Fähigkeit verlassen müssen, langsamer zu werden und auf sie zu warten. Das ist ein sehr wichtiges Verständnis, das mir erst in den letzten paar Jahren gekommen ist. Davor hatte ich das Gefühl, dass ich nicht wirklich etwas dagegen tun kann, wenn die Folgenden nicht wissen, wie sie warten oder ihre Übertragung verlangsamen können. Kürzlich entdeckte ich jedoch, dass es vor allem durch Intention, aber auch durch bessere Erdung und Entspannung möglich ist, sich mit ihrem Rhythmus zu verbinden, so dass man ihn verlangsamen kann, ohne seine Natur zu verändern, ohne etwas zu erzwingen. Ich habe festgestellt, dass ich manchmal auch bei Folgenden langsamer werden konnte, die vorher als unablässig „wackelig“ erschienen. Es kommt wirklich darauf an, alle Anstrengungen zu neutralisieren. Durch die Neutralisierung können Führende die Folgenden ausbalancieren, manchmal besser als sie selbst es können. Das gibt ihnen die Fähigkeit, die Folgenden mühelos zu bremsen. Ich bin noch nicht auf der Ebene, auf der ich jede*n, mit dem*r ich tanze, verlangsamen kann, aber ich habe die Veränderung bei einigen Leuten erlebt. In der Lage zu sein, auf diese Weise in ihren Schritt „hineinzugelangen“, ist sehr schwierig – es erfordert eine sehr gute Körperkondition. Ich kämpfe immer noch die meiste Zeit damit. Weil es so schwierig ist, entscheiden sich manche Führenden dafür, die Folgenden auf sich abzustützen und opfern das Gleichgewicht zugunsten der Fähigkeit, die Schritte zu verlangsamen. Von dieser Möglichkeit rate ich, wie bereits erwähnt, dringend ab.

Letztlich gibt es, wie bei allem anderen auch, keinen Trick, um eine solche Synchronisation oder solches „Einstimmen“ zu erreichen – es geht nur um eine wirklich gute Körperarbeit auf der einen Seite (siehe Abschnitt Körperarbeit) und eine Übung durch Intention auf der anderen Seite.

Während man versucht, sich zu synchronisieren, macht jeder Gedanke daran, dass der oder die Partner*in sich schlecht bewegt, jede Hoffnung, dass sie oder er „das Richtige“ tut, den ganzen Zweck zunichte, verwirkt die potentielle Fähigkeit, die Resonanz zu finden, egal, mit wem man gerade tanzt. Jeder Mensch hat einen gewissen Rhythmus, und die Fähigkeit, sich darauf einzustellen, ist eine wesentliche Fähigkeit eines*r guten Tangotänzer*in, ob Führend oder Folgend. Der oder die Partner*in muss als diese*r gesehen werden, ihre Bewegungen müssen so genommen werden, wie sie sind – um sie zu bewundern, mit ihnen zu verschmelzen und kreativ damit zu spielen.

Praktische Überlegungen

Wie können wir uns am besten in Richtung der ultimativen Partnerverbindung bewegen? Vor allem durch die Entwicklung einer korrekten Körperhaltung und Bewegung, wie ich im Abschnitt Körperarbeit erläutern werde. Es ist die Folge einer schlechten Haltung, dass die Köpfe in enger Umarmung im fixierten Kontakt verbleiben. Bei richtiger Haltung sind der Kopf, der Brustkorb und das Becken vertikal ausgerichtet, wodurch sich die Körper ganz nahekommen können, während die Köpfe voneinander entfernt bleiben:

 

ABBILDUNG 11: Gute zentrierte Umarmung.

Aber eine gute Körperhaltung und Bewegung zu entwickeln, kann Jahre dauern. Die konsequenteste Herangehensweise das zu tun während man gleichzeitig übt, wäre nur mit dem*r Partner*in in einer Linie zu gehen, bis es sich so angenehm anfühlt wie das Gehen allein. Aber die meisten von uns würden nicht so lange auf das soziale Tangotanzen verzichten wollen.

Wir können uns erlauben, mit einer weniger als perfekten Verbindung zu tanzen, solange wir uns dessen bewusst sind und in der Lage sind, sie schrittweise zu verbessern. Die verschiedenen Arten der Umarmung, die den eigenen Tango-“Stil“ weitgehend bestimmen, sind das Ergebnis einer unterschiedlichen Balance der Prioritäten zwischen Nähe und Freiheit. Meiner Erfahrung nach fallen die meisten Tangotänzer*innen locker in eine der drei Herangehensweisen, und einige wechseln zwischen ihnen hin und her. Es sind der „geschlossene“ Stil, der „offene“ Stil und die „gewinkelte“ Position.

 

ABBILDUNG 12: Geschlossene, Offene und Gewinkelte Umarmung.

Wenn man daran interessiert ist, die ultimative Partnerverbindung zu entwickeln, kann man jeden der drei Stile als Ausgangspunkt verwenden. Entscheidet man sich für den „geschlossenen“ Stil, besteht die Herausforderung darin, zunächst dafür zu sorgen, dass beide Partner*innen ihr eigenes Gleichgewicht besitzen, um dann allmählich so viel körperliche Freiheit wie möglich zu erreichen und sich langsam in Richtung „Abkopplung“ der Köpfe zu bewegen – mit anderen Worten, sich völlig „loszulösen“, ohne die Nähe zu verlieren. Um dies geschehen zu lassen, werden die Folgenden schließlich aufhören müssen, ihren Arm um den Hals der Führenden zu schlingern, und eine weniger einschränkende Position um deren Oberarm und Rücken einnehmen (das ist auch die traditionellere Armhaltung). Vor allem müssen sie aufhören, sich gegen die Führenden zu lehnen oder zu drücken. Die Führenden können schließlich auch die Umarmung entspannen, weg vom häufigen „Drücken“ des Oberkörpers der Folgenden.

Wenn man zunächst die „offene“ Umarmung bevorzugt, kann man sich dem*r Partner*in allmählich immer mehr annähern, ohne die Bewegungsfreiheit des Körpers aufzugeben. Dies ist wahrscheinlich die bessere Herangehensweise für Anfänger*innen und auch für Menschen, die sich so sehr an das Anlehnen, Hängen oder Drücken gewöhnt haben, dass sie sich dessen gar nicht mehr bewusst sind. Die Folgenden können schließlich die traditionelle Armhaltung einnehmen, anstatt mit ihrer Hand den Oberarm der Führenden zu halten. Die Führenden können schließlich die Folgenden umarmen, anstatt ihre Hand auf deren Seite zu legen, wie es bei der offenen Umarmung üblich ist.

Die „gewinkelte“ Position ist mein bevorzugter Kompromiss. In dieser Position ist die rechte Seite der Führenden eng mit der linken Seite der Folgenden verbunden, während die andere Seite des Paares offener ist. Auf diese Weise fühlen sich die Körper immer noch verbunden, während die Köpfe und die Beine auch bei unvollkommener Haltung und Bewegung etwas mehr Raum haben können. Die Folgenden legen ihren Oberarm um (nicht auf) die Schulter der Führenden, ohne sich anzulehnen oder darauf zu drücken, während die Führenden den Oberkörper bequem umarmen, ohne zu drücken oder einen starren „Rahmen“ zu bilden. Der Kontakt der Arme sollte nicht fixiert sein. Der einzige möglicherweise feste Teil sind die Hände, und selbst diese können sich etwas verschieben.

Der Hauptnachteil der „gewinkelten“ Umarmung ist, dass der Körper und die Füße der Folgenden nicht parallel zum Körper der Führenden sind. Das bedeutet, dass mindestens eine*r der Partner*innen in Bezug auf seinen Körper etwas schräg steht (in der Regel sind es die Folgenden), und dass auch eine gewisse Nähe und Zentriertheit noch fehlt. Ausgehend von der angewinkelten Position die ideale Verbindung zu suchen, bedeutet, den Winkel allmählich zu verkleinern und immer paralleler gegenüber dem*r Partner*in zu werden (siehe Abbildung 10).

Es ist am besten, von seinem*r Partner*in keine bestimmte Umarmung zu verlangen. Tatsächlich ist es gut, sich nicht nur auf eine der drei Herangehensweisen zu beschränken, denn jede von ihnen neigt dazu, bestimmte schlechte Angewohnheiten zu produzieren, die sich mit der Zeit sehr verfestigen können. Obwohl ich die „gewinkelte“ Umarmung als Ausgangspunkt bevorzuge, wenn meine Partnerin auf einen Kontakt der Köpfe in einer engen Umarmung besteht, gehe ich darauf ein und versuche, mich schließlich durch eine bessere Körperhaltung von ihrem Kopf zu lösen. Wenn die Haltung der Führenden gut ist, müssen die Folgenden ihren Kopf tatsächlich nach vorne strecken, um seinen zu berühren (es sei denn, sie sind selbst furchtbar gebeugt, was bei Folgenden nicht so üblich ist). Die meisten Folgenden haben mehr Verstand, als das zu tun. Es braucht jedoch Zeit, eine gute Haltung zu entwickeln, und in der Zwischenzeit werde ich definitiv Partnerinnen bevorzugen, die mich nicht in eine Kopfblockade bringen. Wenn ich mit jemandem tanze, die den „offenen“ Stil gewohnt ist, werde ich mich anfangs darauf einlassen, dann aber allmählich immer näherkommen und versuchen, die Bewegungsfreiheit meiner Partnerin nicht einzuschränken.

Generell ist es eine sehr wichtige praktische Überlegung, von seinem*r Partner*in nichts Bestimmtes zu verlangen oder zu erwarten. Ein*e gute*r Tänzer*in ist in der Lage, auch mit Anfänger*innen leicht zu tanzen (und ja, das gilt auch für Folgende). Ein*e Tango-Meister*in ist in der Lage, mit Menschen zu tanzen, die noch nie Tango getanzt haben. Deshalb ist es, wenn man sich verbessern will, am besten, wenn sich jede*r Partner*in darauf konzentriert, was er oder sie tun kann, um die Verbindung und die ganze Erfahrung besser zu machen, während er oder sie den oder die Partner*in so annimmt, wie er oder sie ist. Ich kann gar nicht genug betonen, wie sehr die eigene Einstellung zum*r Partner*in die Qualität der Verbindung und das gesamte Tangoerlebnis bestimmen oder zerstören kann

Der wichtigste Weg, die ultimative Partnerverbindung beim Tanzen zu entwickeln, besteht darin, dass beide Partner*innen sie jeweils für sich beabsichtigen und nach Möglichkeiten suchen, sich ihr auf ungezwungene und kreative Weise zu nähern.

Hier ist eine Zusammenfassung der nützlichen Intentionen:

- (Für Führende und Folgende) so eng miteinander verbunden zu tanzen wie möglich, wobei die Freiheit der individuellen Körperbewegung so weit wie möglich erhalten bleibt;

- (Für Führende und Folgende) sich und seine*n Partner*in in perfekter Balance zu halten, ohne sich zu lehnen, zu drücken oder zu hängen;

- (Für Folgende) sich selbständig zu bewegen und dabei eine mühelose Verbindung aufrecht zu erhalten, aktiv zu folgen, ohne vom Führenden körperlich angeschoben zu werden;

- (Für Folgende) mühelos am Oberkörper des*r Partner*in zu „kleben“ und ihm gleichzeitig mühelos nachzugeben;

- (Für Führende) jede Manipulation oder Kraft im Oberkörper zu eliminieren; nichts mit dem Oberkörper zu führen, sondern nur „von der Taille abwärts“ – mit dem Zentrum und den Beinen;

- (Für Führende und Folgende) die Gewichtsverlagerung des*r Partner*in zu spüren und zu begleiten;

- (Für Führende und Folgende) Kopfkontakt möglichst zu vermeiden;

- (Für Führende und Folgende) alle Anstrengungen im eigenen Körper und in der Partnerverbindung zu neutralisieren;

- (Für Führende) den Schritt der Folgenden durch „Absenken“ entstehen zu „lassen“;

- (Für Führende und Folgende) bei jedem Schritt eine Pause vorzusehen, mit beiden Füßen auf dem Boden, auch wenn das Gewicht fast ausschließlich auf einem Fuß liegt; zu gehen, während man so ruhig und geerdet wie möglich bleibt;

- (Sowohl für Führende als auch für Folgende, aber besonders für Folgende), den Schritt und die Gewichtsverlagerung zu trennen, indem man so lange wie möglich auf dem vorherigen Fuß verwurzelt bleibt, auch wenn man den Körper mit dem*r Partner*in bewegt;

- (Für Führende und Folgende) keinen anhaltenden (festsitzenden) Kontakt an irgendeiner Stelle des Körpers zu haben, außer an den Händen;

- (Für Führende und Folgende) sich mit der Achse des*r Partner*in zu verbinden, auch wenn man an der Seite steht;

- (Für Führende und Folgende) so vertikal wie möglich zu bleiben;

Unabhängig davon, welche Umarmung man bevorzugt, kann man immer an Balance, Mühelosigkeit und Synchronizität der Verbindung arbeiten, indem man den Druck auf alle Berührungspunkte minimiert, sowie versucht, Stille in der Bewegung zu finden und den oder die Partner*in in der Mitte jedes Schrittes zu begleiten. Die bestmögliche Partnerverbindung hängt jedoch von den richtigen Körperbedingungen ab, die in der Regel etwas Arbeit außerhalb der Tanzfläche erfordern. Einem menschlichen Körper, der gut stehen und gehen kann, entspringt eine gute Partnerverbindung ganz natürlich.