• Die Werkzeuge

Intention

Ein weiteres unverzichtbares Werkzeug zum Erlernen und Verbessern des eigenen Tanzens ist das, was ich als Intention bezeichnen werde. Darunter verstehe ich eine kreative Visualisierung, eine Projektion einer Vision direkt in das eigene Erleben. Das mag etwas mystisch und unrealistisch erscheinen, so wie es mir am Anfang auch vorkam. Als ich mit dem Tanzen anfing, war ich mir der Macht der Intention nicht bewusst. Wie die meisten Menschen glaubte ich, dass man seine Bewegung nur durch eine gezielte Veränderung der Position einiger Körperteile oder durch das Üben einer bestimmten Technik, einer spezifischen Koordination, verändern kann. Erst durch das Studium der Alexander-Technik fand ich heraus, dass der Mensch in der Lage ist, „in seinem Körper zu denken“, ihn zu lenken, ohne ihn mechanisch zu manipulieren. Es stellte sich heraus, dass es möglich ist, eine bewusste Absicht zu projizieren und sofort damit zu beginnen, die gesamte Art der Bewegung zu verändern, und dass dies tatsächlich viel effektiver ist als der mechanistische Ansatz. Ein einfaches Beispiel ist die Entspannung. Man kann sich nicht entspannen, indem man Körperteile umpositioniert (es sei denn, man bricht einfach zusammen). Während einer Aktivität kann man sich nur durch die bewusste Intention entspannen. Später fand ich ähnliche Praktiken auch im Tai Chi Chuan – zum Beispiel kann man zentrierte Bewegung nur trainieren, indem man sich sein Zentrum vorstellt und alle Bewegung als von dort ausgehend.

Intention ist für viele Menschen aufgrund unserer modernen naturwissenschaftlichen Erziehung und technologiebasierten Kultur schwer zu verstehen oder gar vorstellbar. Wir sind daran gewöhnt zu denken, dass es immer konkrete Mittel zur Erreichung eines bestimmten Ziels geben muss. Es ist schwer zu glauben, dass ein einfacher „Wunsch“ danach irgendetwas bewirken kann. Es stellt sich jedoch heraus, dass ein Mensch genau das tun kann. Die Frage der Körperhaltung ist ein gutes Beispiel. Man möchte, dass die Körperhaltung in Bezug auf die Schwerkraft möglichst ausgeglichen ist. Ein mechanistischer Weg, sie einzustellen, wäre zum Beispiel, zu versuchen, den Kopf, das Becken oder den Brustkorb mehr nach hinten oder nach vorne zu positionieren, je nachdem, wie man das Ungleichgewicht empfindet. Ein viel effektiverer Weg ist es, die Vertikalität zu beabsichtigen – sich das gesamte vertikale Gleichgewicht vorzustellen. Es stellt sich heraus, dass der Körper eine Möglichkeit hat, direkt auf eine solche Intention zu reagieren, ohne wahrnehmbare mechanische Mittel. Von einer naturwissenschaftlichen Ausbildung kommend, erschien mir so etwas wie reine Magie. Durch die Erfahrung bin ich jedoch von seiner Realität und höchsten Effektivität überzeugt worden.

Ein magischer Aspekt der Intention ist, dass sie sich über den eigenen Körper hinaus erstrecken und den Körper des Partners oder der Partnerin einschließen kann. Letztlich ist eine gute Führung nur eine Absicht. Genauer gesagt, kann die Kommunikation für beide Partner*innen zu einer seltsamen Mischung aus Intention und sensibler Aufmerksamkeit für den anderen werden. Dann passiert es wie von Zauberhand, die Kommunikation wird unglaublich direkt, wobei keiner der beiden Partner*innen mehr weiß, wie sie eigentlich mechanisch abläuft.

Das „Nichts“ ist ein Beispiel für eine nützliche Intention. Beabsichtige das „Nichts“ – das Gefühl, keine Anstrengung, kein Gewicht, kein vorgegebenes Muster zu haben. Sobald ich mir durch Aufmerksamkeit eines starren Musters in meinem Körper oder meinem Geist bewusstwerde, fange ich an, zu beabsichtigen, dass es verschwindet, „nein“ dazu zu sagen oder es, in den Begriffen der Alexander-Technik, zu „hemmen“. Es ist normalerweise unmöglich, es sofort verschwinden zu lassen – man kann nicht plötzlich seine Haltung ändern oder aufhören, den Körper auf gewohnte Weise zu verrenken. Aber wenn man das Muster bemerkt, ihm weiterhin Aufmerksamkeit schenkt und erkennt, dass es nicht notwendig ist, beginnt es sich allmählich aufzulösen. Ich habe eine Menge übermäßiger Muskelanspannungen aufgelöst, indem ich sie zuerst wahrgenommen und dann allmählich losgelassen habe. Auf diese Weise arbeiten Aufmerksamkeit und Intention zusammen: das zwanghafte Muster bemerken, die Befreiung davon beabsichtigen.

Ein weiteres Beispiel für nützliche Intention ist die kreative Einstellung. Sehr oft verfallen Tänzer*innen in den Glauben, dass bestimmte Umstände sie daran hindern, die ultimative Tanzerfahrung zu machen. Das kann der Mangel an begehrten Partner*innen sein, ein Tanzfläche, die zu rutschig, klebrig oder überfüllt ist, oder die eigenen physischen oder psychischen Einschränkungen. Wenn solche Dinge als Hindernisse wahrgenommen werden, die außerhalb der eigenen Kontrolle liegen, ist das eine defensive Haltung. Sie als Chance zu sehen, zu lernen und sich zu verbessern, ist eine kreative Haltung. Ich habe viel vom Tango gelernt, indem ich auf schwierigen Untergründen getanzt habe und indem ich mit Anfängerinnen als Partnerinnen gearbeitet habe. Wenn man herausgefordert wird, hat man die beste Gelegenheit für einen neuen Durchbruch. Die richtige Intention ist einfach, dass sich das Tanzen unter allen Umständen gut anfühlt. Jemandem oder etwas die Schuld zu geben, während man tanzt, schafft viele weitere kontraproduktive Muster. Ich erkannte das sehr deutlich, als ich eines Tages entdeckte, dass, wenn ich in der Lage war, meine mentale Kritik an meinen Partnerinnen zu unterbrechen, sie ausnahmslos sofort anfingen, besser zu tanzen. Ich verstand, dass ich, indem ich mich auf ihre Unzulänglichkeiten konzentrierte, unbewusst etwas Körperliches tat, um diese Unzulänglichkeiten hervorzubringen, um sie noch mehr zu entlarven. Aber wenn ich es schaffte, jede Partnerin einfach als Partnerin zu akzeptieren, ließ ich meinen Körper sich an ihre Bewegungen anpassen, und ihre vermeintlichen Unzulänglichkeiten wurden viel weniger auffällig, und oft sogar überhaupt nicht wahrnehmbar. Dies ist nur ein weiteres Beispiel für eine kreative Einstellung, die man auf alle Aspekte des Tangos anwenden kann und sollte, vom eigenen Körper bis hin zu jeder speziellen Tango-„Szene“, in der man sich befindet.

Meiner Erfahrung nach ist die Intention wesentlich, um sich selbst durch den Prozess des Lernens und der Verbesserung zu führen. Intention ist die Umsetzung der eigenen klarsten Vision dessen, was Tango sein will. Letztendlich verschmelzen Intention und Aufmerksamkeit, wobei es keine scharfe Trennlinie zwischen der Erschaffung eines schönen Erlebnisses und der Wahrnehmung desselben gibt.