Direktes Feedback – Aufmerksamkeit
Das wichtigste Werkzeug, um etwas zu lernen, ist die Fähigkeit, aufmerksam zu sein. Tango lernt man zunächst dadurch, dass man anderen beim Tanzen Aufmerksamkeit schenkt. Um zu lernen, wie man führt und folgt, muss man seinem Partner oder seiner Partnerin Aufmerksamkeit schenken. Im fortgeschrittenen Stadium des Lernens, wenn es darum geht, die eigenen kontraproduktiven Muster auszumerzen, muss man sich ihrer erst bewusstwerden. Das kann man nur, wenn man auf alle Aspekte des eigenen Tanzens achtet.
Bei einer körperlichen Aktivität wie dem Tanzen bedeutet Aufmerksamkeit, die Sinne einzusetzen. Das ist es, was ich mit „direktem Feedback“ meine – darauf zu achten, wie sich das Tanzen anfühlt. Von den üblichen fünf Sinnen ist der Tastsinn derjenige, der für das direkte Feedback am nützlichsten ist, denn wir sehen, hören, riechen oder schmecken das Feedback normalerweise nicht. Es gibt mindestens zwei weitere Sinne, die für die Verbesserung entscheidend sind: der propriozeptive Sinn – der Sinn für die Form und Position des eigenen Körpers im Raum – und der Sinn für die Spannungszustände in der Muskulatur. Mit zunehmendem Fortschritt entwickeln sich weitere spezielle Sinne, wie z. B. das Gefühl für den ganzen Körper des*r Partner*in, während man sich nur an einigen Stellen berührt, ein Gefühl für andere Menschen auf der Tanzfläche, ein Gefühl für den Raum usw. Solche Sinne entwickeln sich durch Aufmerksamkeit und einfach durch Übung, und wenn sie sich entwickeln, ermöglichen sie wiederum eine bessere Aufmerksamkeitskontrolle.
Der falsche Gebrauch von Aufmerksamkeit besteht darin, Muster zu bemerken und an ihnen festzuhalten. Der richtige Gebrauch von Aufmerksamkeit ist, Muster zu bemerken und sich von ihnen zu befreien oder sie kreativ zu transformieren. Brauche ich wirklich diese ganze Spannung in meinem Arm? Muss ich wirklich dieses oder jenes mit meinen Knien, Füßen, der Hüfte machen? Die Antwort auf all diese Fragen ist „nein“, sobald ich also merke, dass ich etwas tue, versuche ich mit dem „Tun“ aufzuhören und mit dem „Lassen“ zu beginnen. Die Absicht des „Nichtstuns“ hilft diesem Prozess sehr (siehe den folgenden Abschnitt über Intention).
Die Arbeit am eigenen Körper ist eine enorme Aufmerksamkeitsübung. Kein Übungssystem wird nennenswerte Ergebnisse bringen, wenn man nicht sorgfältig und geduldig auf seinen Körper hört. Letztendlich hat ein gesunder, ausgeglichener Körper einige bestimmte Eigenschaften und entsprechende Freiheitsgrade, aber jedem Menschen fehlt es auf seine eigene Art und Weise an der richtigen Koordination, und er oder sie muss sich dessen bewusstwerden und die eigene Körperarbeit entsprechend strukturieren, sonst wird sie nicht fruchtbar sein.
Die Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte des eigenen Tanzes zu lenken, ist sehr nützlich zum Lernen und Trainieren. Es ist wichtig, um zu bemerken, wie man in Muster fällt und zu lernen, wie man damit aufhört. In der ultimativen künstlerischen Erfahrung ist jedoch eine strenge Kontrolle der eigenen Aufmerksamkeit nicht mehr notwendig, da sie überall gleichzeitig sein darf und an keinem bestimmten Ort verweilt. Die Aufmerksamkeit kann gleichzeitig bei der Musik, dem*r Partner*in, dem Raum und dem eigenen Körper sein und sie alle in eine harmonische Erfahrung bringen. Bislang habe ich solche Zustände nur gelegentlich erahnt, aber genug, um zu wissen, dass sie möglich sind. In den Worten des Zen-Meisters Takuan Soho ist der Geist wie eine Katze, die zuerst angebunden werden muss und darauf trainiert werden muss, nicht nach dem „kleinen Spatz zu schnappen“ – sich an nichts zu klammern – aber dann, wenn sie einmal trainiert ist, kann sie „losgebunden“ werden – darf frei von jeder bewussten Überlegung sein.